Dolde zum Jahreswechsel
Zu Silvester werden die besonderen Flaschen aus dem Keller geholt. Hier sind das in diesem Jahr ein Silvaner und ein Spätburgunder vom Weingut Dolde.
Kaum ist die Weihnachtsvöllerei verdaut, steht schon der nächste Termin in den Startlöchern. Zu keiner anderen Jahreszeit wird wohl so kurz aufeinander im Keller nach besonderen Flaschen gegraben. Das ist hier natürlich nicht anders. Und das obwohl ich selber eigentlich der Meinung bin, dass man eigentlich zu jeder Jahreszeit das trinken sollte, worauf man Lust hat. Ich befürchte nämlich, dass bei vielen Flaschen, die in Kellern auf besondere Momente warten, der Anspruch an eben jenen Moment mit jeder vorbei ziehenden Gelegenheit wächst und sie so nie geöffnet werden. Das dürfte als Flaschenschicksal noch schlimmer sein, als als Wanderpokal zu enden. Und am Ende ist heute ein genauso guter Tag wie jeder Andere auch. Bleibt noch die Frage, was eigentlich eine besondere Flasche ist. Diese beiden Flaschen heute sind weder teuer noch schwierig zu kaufen. Und trotzdem sind sie besonders. Wenn wir später an diesem Abend, wie jedes Jahr, die Dachfenster aufmachen, werden wir uns wieder freuen, dass wir das, was da an Geld explodiert nicht in die Luft schießen sondern uns in den Hals leeren. Und gleichzeitig, fasziniert von der einen oder anderen Feuerwerksbatterie, leuchtet ein kleines bisschen dahinter noch ein mehr oder weniger heller Fleck weiter oben am Albtrauf. Genau genommen sind da zwei leuchtende Flecken, aber die Burg Teck ignorieren wir gekonnt und schauen weiter rechts in Richtung Hohenneuffen. Und wenn jetzt gerade nicht Winter wäre (und man ein echt starkes Fernglas hätte), dann könnte man irgendwo zwischen hier und da den Trauben der Weine beim wachsen zuschauen.
Dass wir hier im deutschen Weinbauvergleich ungewöhnlich weit oben über dem Meer sind, dass die Kalk- und Vulkanböden eine Besonderheit sind und dass Helmut Dolde und Familie das Alles im Nebenerwerb oder jetzt in der Pension machen, das haben wir schon beim letzten Mal erörtert. Low-Tech und Cool Climate gibt es hier schon immer. Ventilatoren und nasse Handtücher kühlen bei Bedarf den gärenden Most neben dem Verkaufsraum. Die Konsequenz davon ist, dass es sich im Herbst, kurz nach der Lese, im Weingut besonders schön einkaufen lässt, wenn alles blubbert und es nach Most und Hefe riecht. Und das kühlere Klima wechselt im Klimawandel vom Problemfall zum Standortvorteil. Wir probieren mal wieder zwei Weine. Einen Silvaner Alte Reben aus 2022 und einen Spätburgunder Fass 2 aus 2019, der, wie könnte es anders sein, in Fässern aus Eichenholz von hier liegen durfte.
Der Silvaner ploppt leise beim Aufschrauben. Wir sehen ihm das nach, ist 2022 ja praktisch gerade erst gefüllt worden. Man sollte sich sowieso von den Weinen und den günstigen Preisen nicht täuschen lassen. Eine Woche in der offenen Flasche ist kein Problem, einige Jahre im Keller genausowenig. Dementsprechend wirkt der Wein noch unsortiert, leicht hefig, gelb-grün kräuterig und eher zurückhaltend. Zumindest in der Nase ist das so, beim Trinken wird dann zugepackt, das ist frisch und saftig. Von der Zungenmitte aus werden die Backen nach innen gezogen, um sich dann kurz vor dem Verschwinden nochmal mit Struktur hinten auf die Zunge zu legen. Das macht viel Spaß und gegen Ende des Abends tauchen dann auch Ananas und Mirabellen in der Nase auf.
Eine Nacht im Kühlschrank hilft dann beim Sortieren. Die Hefe geht zurück, es wird etwas fruchtiger. So richtig in eine Schublade bekomme ich die Frucht aber nicht gepackt, das geht mir bei Silvaner aber häufiger so. Ein Strukturwein ist das, der so richtig erst beim Schlürfen aus sich herauskommt. Vielleicht hätte es auch eine Karaffe getan, da ist es jetzt aber zu spät dafür. Der Wein ist saftig, voller Textur, salzig und ewig lang. Ich bin froh, dass sowas hier in Sichtweite wächst.
Beim Spätburgunder ploppt nichts beim Aufschrauben. Das liegt zum einen daran, dass es nichts zum Aufschrauben gibt, der Wein ist mit Korken verschlossen. Und zum Anderen hatte der Wein deutlich mehr Zeit eine erste eigene Ordnung zu finden. Da ist nicht mehr ganz frische, aber ziemlich süße Kirsche, etwas Rauch, Holz und Johannisbeere. So ein bisschen Waldfruchtkuchen auf Schokoladenbiskuit mit Gewürzen. Das, was in der Nase an Süße dabei ist, verschwindet auf der Zunge komplett. Auch im Spätburgunder steckt viel Frische, Saftigkeit und ein Gerbstoff, der erst ganz langsam anfängt, kaum auffällt und dann mit jedem Schluck an Grip zulegt.
Über Nacht kommen leicht balsamische Noten dazu, aber eigentlich ändert sich gar nicht so viel. Der Wein wirkt kühl und würzig, fruchtig und saftig, alles zusammen. Im Mundgefühl tut sich dann aber doch etwas. Der Gerbstoff, der sich am ersten Abend erst angeschlichen und dann ziemlich zugepackt hat, der schleicht sich inzwischen nur noch an. Der Biss ist einer charmanten Samtigkeit gewichen und auch so steht das dem Wein ziemlich gut. Die letzten beiden Gläser, Silvaner und Spätburgunder, dürfen Lachs-Spinat-Tomaten-Sahne-Spaghetti begleiten. Und auch das funktioniert richtig gut. In Rot und in Weiß. Kenner trinken eben Württemberger. Ganz unironisch. Und richtige Kenner starten damit sogar ins neue Jahr. Guten Rutsch!