24.12.2023

Warum mein Weinglas mein Weinglas ist

Zu Weihnachten gehen wir der Frage nach warum eigentlich fast immer genau dieses Weinglas im Hintergrund steht und trinken begleitend eine Flasche Hochstadt Spätburgunder 2018 von Lukas Hammelmann.

Hin und wieder erreicht mich die Frage, was das eigentlich für Gläser sind, die immer im Hintergrund stehen. Diese Frage wird, nicht mir, aber grundsätzlich, oft gestellt. Die Menge an verschiedenen Gläsern ist unüberschaubar und auf der Skala zwischen Plastiksektflöte und mungeblasenem Burgundergoldfischbecken ist eine Menge Platz. Es herrscht auch grundsätzlich Einigkeit in der Weinwelt, dass der gleiche Schluck Wein aus verschiedenen Gläsern verschieden schmeckt. Weit weniger Einigkeit herrscht darüber, welches Glas es denn sein soll. Und ob ein Glas überhaupt ausreicht, ob Burgunder immer ins Burgunderglas müssen, ob Schaumwein nicht viel besser in großen Gläsern zur Geltung kommt und wenn, dann welcher Schaumwein in welchem Glas. Eine wirklich endlose Diskussion, die gut zur wirklich endlosen Auswahl an Weingläsern zu teilweise augenwässernden Preisen passt. Und wenn jemand die Glasfrage in einem beliebigen sozialen Medium stellt, kann er sich gewiss sein, dass genau seine Auswahl garantiert falsch und die Diskussion darum ausufernd sein wird. Um jetzt den Bogen zu schlagen, warum ich aus dem Glas trinke, das man da meistens im Hintergrund sieht, muss ich aber erstmal ausholen.

Ich würde mich inzwischen teilweise als Wine-Nerd bezeichnen. Dabei steckt aber viel mehr Nerd als Wine in mir. Literally and figuratively, wie der Anglosachse sagen würde. Teil dieses Sachverhalts ist, dass Telespiele Teil meiner popkulturellen Blase sind. Wer da komplett raus ist, der muss jetzt stark sein und vielleicht die nächsten Sätze etwas schneller lesen. Aber bleibt bei mir, die Kurve führt zurück zum Weinglas. Versprochen. Die Souls Reihe hat sich in den letzten Jahren eine eigene Nische im Videospielkosmos frei geschaufelt. Die Spiele sind bockschwer, aber (fast) nie unfair, so dass der Spieler, also ich, immer weiß, warum er da gerade nach dem 16. Versuch im Gras liegt und diesen Bosskampf, dann vielleicht beim 17. Versuch besser bewältigen kann. Das funktioniert sehr gut bei Mensch gegen Spiel, aber es funktioniert eben auch genauso gut, wenn man plötzlich im Spiel eines Anderen auftaucht um sich gegenseitig Blitze an den Kopf zu werfen. Das funktioniert tatsächlich so gut, dass sich eine rege Community nur dafür entwickelt hat. Und ebenda gibt es eine der Weinglas-Diskussion sehr ähnliche Diskussion. Es gibt den Spielertypus MinMax. Alles wird bis zum letzten Punkt perfektioniert und wenn man dann Ledermütze und Plattenhandschuh trägt, damit kacke aussieht, aber die letzten drei Punkte mehr Widerstandkraft herauskitzelt, dann nimmt man das mit, egal wie das aussieht. Und es gibt den Typus Fashion Souls. Wenn das rostige Kurzschwert besonders gut zur Rüstung aussieht, zwar okay funktioniert, aber doch zehn Prozent Schaden einbüst gegenüber der MinMax Variante, dann ist das egal. Weil sieht gut aus, fühlt sich richtig an und das ist letztendlich wichtiger.

Das Glas im Hintergrund ist Fashion Souls. Das funktioniert okay, gut sogar, würde ich sagen. Aber nur deshalb steht das da nicht. Das steht da, weil ich ganz persönlich finde, dass es gut aussieht und ich deshalb gerne daraus trinke. Das Glas, ein Zwiesel Sensa, ist maschinengefertigt, nicht grobschlächtig, aber ganz sicher nicht die feine Klinge. Es gibt natürlich auch andere Gläser die mir gefallen. Deshalb stehen hier mehr Kartons Weingläser rum als in den Schrank passen. Aber irgendwie landen wir immer wieder beim Sensa. Das Trinkgefühl aus Josephinenhütte, Zalto und Co ist natürlich besser. Aber für mich ist der Knick im Josephinenhütte eben Ledermütze und Plattenhandschuhe. Und überhaupt trinkt bei allen diesen Gläsern jedes mal die Angst mit, gleich teuren Glasbruch zu produzieren. Für mich ist das unentspannt. Und ich schreibe ganz bewusst ganz oft für mich. Dass verschiedene Menschen Geschmack sehr verschieden wahrnehmen ist etabliert und ich bin mir sicher, dass das auch für das Trinkgefühl aus Gläsern gilt. Und das was für mich funktioniert, muss nicht für euch funktionieren. Es funktioniert wie wir gleich sehen ja nichtmal gegenüber am Tisch. Trinkt also aus dem, was ihr gut findet. Akzeptiert, dass andere Leute andere Gläser gut finden und probiert hin und wieder mal was Neues aus. So für den Blick über den Tellerrand. Ganz wie beim Wein eben.

Und damit sind wir beim Wein angekommen. Um hier trotzdem noch Weincontent zu liefern, haben wir alle Gläser gegriffen, die hier so rumstanden und den gleichen Wein in fünf Gläser gepackt. Bevor wir dazu kommen noch ein Wort zu dem Gläsern: Alle Gläser kommen bei uns in die Spülmaschine, ich poliere nicht weil ich faul bin, aviniere mit einem großzügigen Schluck und lebe mit dem leichten Schleier. Könnte das Titelbild schöner sein, wenn die Gläser poliert wären? Sicher, aber mir eben egal. Alle Gläser habe ich außerdem irgendwo im Angebot oder Abverkauf gekauft. Die Günstigsten sind tatsächlich die, die ich am liebsten benutze. Die Zwiesel Sensa haben mich 3,50 Euro pro Glas gekostet. Am meisten pro Glas habe ich für Spiegelau Definition Burgund gezahlt, das waren 12 Euro pro Glas. Die Anderen, die gleich kommen, die liegen irgendwo dazwischen. Mir ist bewusst, dass kein einziges mundgeblasenes Glas dabei ist. Trotz Kontakt hier und da auswärts zu Josephinenhütte und Co habe ich bisher nicht den Drang mir auch welche zu kaufen.

Außerdem ganz wichtig: Das hier ist kein Gläsertest. Ich wollte aber nicht ohne Wein über Weingläser schreiben. Und ich erhoffe mir selber auch Erkenntnisgewinn und weil auf zwei Gläsern Burgunder steht, gibt es Burgunder aus Hochstadt von Lukas Hammelmann. Jahrgang 2018. Wir starten mit dem uns wohlbekannten Zwiesel Sensa Fruchtig und Fein und trinken dann vom kleinem Glas in Richtung großes Glas.

Der Wein hat eine wirklich schöne Kirschfrucht, viel Frische, aber schon auch ein bisschen Waldboden und Erde. Die Frucht ist irgendwo zwischen Kirschbonbon und frischen Kirschen, aber praktisch ohne Zucker. Das ist wirklich extrem schön gerade und ich bin minimal traurig, dass der Wein ob der vielen Gläser nur einen Abend überleben wird. Er ist ein bisschen angereift, hat Würze, etwas Schokobiskuit und ein paar ätherische Kräuter. Das ist super elegant beim Trinken, fein, frisch und in kompletter Harmonie. Auf der Zunge ist ganz feiner Gerbstoff, der ganz weit hinten Struktur gibt.

Im Gabriel Glas Standard ist mehr Wald in der Nase, mehr Kräuter, mehr Waldboden. Die Kirsche ist natürlich auch da, aber eher im Hintergrund. Beim Trinken mehr Gerbstoff, fokussierter, aber auch weniger harmonisch.

Das Spiegelau Definition Universal bietet in der Nase am wenigsten Angriffsfläche. Der Wein ist fein und balanciert zwischen Frucht und Erde, aber irgendwie eben auch einfach ein bisschen weit weg. Im direkten Vergleich mit den anderen Gläsern ist da am wenigsten los. Dafür ist das Trinkgefühl ziemlich großartig.

Das Stölzle Quatrophil Burgund fühlt sich am schwersten an. Das Glas, nicht der Wein. Der ist sehr würzig in der Nase, die Frucht noch weiter hinten als im Gabriel. Außerdem wirkt der Wein irgendwie reifer als in den anderen Gläsern. Deutlich tatsächlich. Er ist cremiger und da ist mehr pilzig-erdiger Waldboden. Dabei aber intensiv und im Mund sehr balanciert.

Zum Schluss das Spiegelau Definition Burgund. Da ist mehr Frucht, die wärmer, weicher und reifer wirkt. Der Wein ist ähnlich offen wie im Quatrophil, hat aber nicht diesen Reifeeindruck. Die Frucht ist hier am deutlichsten Sauerkirsche und am wenigsten Fruchtbonbon. Die Balance ist perfekt und Waldboden, Kräuter und Frucht halten sich die Waage. Man muss schon auch sagen, dass so ein dünnes Goldfischbecken auf einem Stil einiges her macht, sobald man die Angst vor Glasbruch überwunden hat.

Jetzt fängt die Diskussion hier am Tisch, was denn davon wie gut ist. Am Schwächsten finden wir beide das Spiegelau Universalglas. Da fehlt irgendwas im Wein, demnach Platz 5. Aber dann wird es kompliziert und wir finden keine Einigung. Also Einzelwertungen. Ich habe auf Platz 4 das Quatrophil, weil mir das tatsächlich zu reif riecht und deshalb nicht so gut gefällt. Von Gegenüber kommt dazu jedoch laute Widerrede. Dann kommt bei mir, sehr knapp, das Gabrielglas auf 3 und dann das Sensa auf Platz 2, weil mir das etwas Offenere des Sensa minimal mehr gefällt. Und auf Platz 1 ist das Burgund von Spiegelau. Irgendwie lustig, dass dieses Burgunderglas heute tatsächlich bei Burgunderinhalt da landet.

Die Mittrinkerin ist mit Platz 1 einverstanden. Dann kommt bei ihr aber schon das Quatrophil, das bei mir Vorletzter war. Weil sie die Reife, die mich abschreckt, super toll findet. Es folgt auf Platz 3 das Gabriel und auf Platz 4 das Sensa. Aber zwischen diesen beiden ist es auch bei ihr super eng und je nach Schluck tauschen die Beiden hin und wieder auch die Plätze. Spannend.

Und was machen wir jetzt mit dieser Erkenntnis? Natürlich weiter aus den Sensa trinken und wenn wir Lust haben ein anderes Glas auf den Tisch stellen. So wie es sich anbietet eben. Wer auf Khruangbin nicht mit Gesundheit antwortet, sondern die Musik anmacht, der hat vielleicht das Video (relevanter Teil ab Minute 18) gesehen, in dem Laura Lee, die bei Khruangbin Bass spielt, erklärt, dass sie aufgrund des Rings am Finger vielleicht 20 Prozent schlechter spielt, aber dafür 40 Prozent besser aussieht. So ein bisschen ist es für mich genau so mit diesen Gläsern. Und das ist okay so.

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