23.6.2024

Zwei Flaschen Domaine Saint Nicolas

Wir trinken zwei Flaschen Wein von der Domaine Saint Nicolas von der Loire: Eine Flasche Les Clous 2022 und eine Flasche Le Haut Chemin Chenin Blanc 2021.

Eine Flasche Les Clous 2022 und eine Flasche Le Haut Chemin 2021 der Domaine Saint Nicolas auf einem Holztisch, mit einem Weinglas und Büchern im Hintergrund sowie Korken und einem Korkenzieher im Vordergrund.

Langsam aber sicher nähern wir uns dem Ende des Kartons an Weinentdeckungen der Perspektive Wein. Das ist auch gut so, weil wir inzwischen näher an der hoffentlich nächsten Ausgabe sind, als an der Letzten. Und auch diese beiden Flaschen sind wie so viele aus dem Paket von der Loire. Wobei das ist zwar technisch gesehen richtig, und wir wissen, dass das die beste Art von Richtig ist, aber ein bisschen mehr Differenzierung ist vielleicht nötig. Zur Wahrheit gehört nämlich auch, dass die Weinberge ziemlich einsam etwa 50 Kilometer südlich der Loire in der Nähe des Atlantik liegen. Dass das Gebiet Fiefs Vendéens trotzdem noch der Loire zugerechnet wird, ist eine dieser weinbaurechtlichen Fakten, die ich in meinem Kopf unter “Ist halt so” abspeichere. Überhaupt sind die 1000 Kilometer Loire so divers, dass es auf eine Enklave mehr oder weniger nun wirklich nicht ankommt. Und zumindest mit geht es so, dass ich, je mehr ich probiere, auch das Gefühl habe eigentlich immer weniger zu wissen. Hinter jeder Flasche, jedem Gebiet und jeder noch so kleinen Appelation tut sich ein ganzes neues Universum auf. In diesem Fall zumindest flächentechnisch ein sehr kleines Universum. Gerade mal knapp unter 500 Hektar Fläche umfasst Fiefs Vendéens und ist auch erst seit 2011 als Appellation d’Origine Contrôlée eingetragen. Patrice, Eric und Thierry Michon machen da schon etwas länger Wein in der Gegend. 1960 wurde das Weingut gegründet, 1985 der Keller in Ile d’Olonne gebaut und 1995 folgte die Zertifizierung für biodynamischen Weinbau. Da war die AOC noch viele Jahre Zukunftsgeschichte. Knapp 40 Hektar werden im Weingut bewirtschaftet und damit dann fast ein Zehntel der Gebietsfläche. Der Les Clous ist eine Cuvée aus hauptsächlich Chenin Blanc mit einem kleinen Anteil Chardonnay (und je nach Quelle auch noch einem Schuss Groslot Gris). Die Reben stehen auf lehmigen Schieferböden im atlantischen Klima. Die Trauben werden spontan in Holzfässern und Edelstahl vergoren und anschließend für einige Monate in Holz ausgebaut. Der Chenin Blanc für den Le Haut Chemin steht auf Schiefer im gleichen Klima. Er wird komplett im Holz vergoren und dann für ein Jahr ebenfalls in Holz ausgebaut.

Los geht es mit dem Les Clous. Der hat cremig, gelbe Frucht, Kräuter und eine feine Struktur schon in der Nase. Irgendwie spannend, wie sich das so entwickelt hat, dass man aus dem wie ein Wein riecht, dann unmittelbar versucht darauf zu schließen, wie sich der wohl beim Trinken anfühlen wird. Manchmal klappt das gut, manchmal liegt man komplett daneben. Wein halt. Hier klappt das gut. Genau so cremig wie er riecht, schmeckt er auch. Da ist viel Kernobst und auch die Säure fühlt sich stark nach Apfel an. Mit Luft entwickelt sich immer mehr Würze.

Einen Tag später bleibt das ziemlich genau so. Die Frucht vielleicht ein bisschen mehr auf der Seite von gelben Pflaumen und Mirabellen, aber es ist gelb, es ist cremig und dabei ziemlich ausgewogen und balanciert. Saftig, klar, ein Wein für den großen Durst und das lange Wochenende.

Obwohl der Le Haut Chemin ein Jahr mehr auf dem Buckel hat, wirkt er von Anfang an viel spannungsgeladener und irgendwie auch frischer. Da ist einfach mehr Zug drin. Da ist Frucht, da ist ein bisschen was Herzhaftes, gekörnte Hühnerbrühe vielleicht, und ein bisschen Liebstöckel. Und diese salzige Mineralik, die so oft im Wein von der Küste steckt. So trinkt sich der Wein auch, mit viel Zug und etwas salzigem Stein. Tatsächlich war es direkt nach dem Entkorken gar nicht so einfach die beiden Weine auseinanderzuhalten. Mit jeder Minute im Glas leben sie sich aber auseinander und nach 2-3 Stunden sind es komplett verschiedene Weine. Der hier wird immer mehr zu Strukturwein, mehr Würze, mehr Stein und weniger Frucht, während der Les Clous die Frucht den ganzen Abend behalten hat.

Und auch hier geht es am zweiten Tag genau so weiter. Er bleibt der ernstere Wein der Beiden. Der mineralischere Wein, der würzigere Wein. Ein bisschen Campari Orange im Mundgefühl, mit deutlich mehr Orange als Campari. Salzigkeit auf der Zungenmitte, cremige Textur an den Rändern. Kräuterig, gelb und jetzt mit einem Klecks Honig dabei. Die Frage welche Flasche besser ist, die stellt sich gar nicht. Da ist die eigene Tagesform viel entscheidender als der Wein. Ich frage mich selbst manchmal, was mir das bringt, so an der Oberfläche zu kratzen in einem Gebiet. Diese Weine sind immer irgendwie Streiflichter, ein kurzes Spotlight, ein kleines Fenster in irgendeine Welt, von der man viel zu wenig weiß. Für Deutschland habe ich das Gefühl inzwischen ganz gut einordnen zu können, was ich von einer Flasche erwarte, wo etwas hin passt und ob das da hin passt. Aber selbst da ist es oft einfach nur im Dunkeln gestochert. Hier bin ich komplett ahnungslos. Aber irgendwie hat das auch seinen eigenen Reiz. Und wenn mir dann wieder etwas von der Atlantikküste über den Weg läuft mit Loire auf dem Label, dann kann ich in dieser Beschreibung wühlen, vergleichen, neu kalibrieren und das kleine Fenster ein bisschen weiter aufmachen.

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