Sistema Vinari - Novetat Total 2023
Wir trinken (und hören) eine Flasche Novetat Total 2023 von Sistema Vinari aus Mallorca.
Weine, die ich hören kann sind eher selten. Aber dieser Wein macht Geräusche, zumindest in meinem Kopf. Irgendwo auf dem Dachboden steht eine Kiste mit CDs, die dem, was da vorne auf der Flasche klebt täuschend ähneln. CDs, für die Jüngeren, sind das, was man in dafür vorgesehene Laufwerke geschoben hat um Musik zu hören. In der kurzen Phase als Platten nicht mehr cool waren, Kasetten (fragt gar nicht) überholt und Streaming noch nicht vorhanden. Inzwischen sind ja zumindest Platten wieder der heiße Scheiß. Aber ich schweife ab. Jedenfalls höre ich heute hier und da noch eine gepflegte Ladung Doppelbassgewitter und Gitarrenriffs während irgendjemand irgendwas ins Mikrofon schreit. Und währenddessen zeigt jetzt eben der Streamingdienst des Vertrauens unlesbare Schrift mit viel Schwarz und ein paar dunklen Gestalten auf meinem Mobiltelefon an. Fast wie damals. Und als irgendwo anders im Internet diese Flasche an mir vorbei gezogen ist, musste ich das natürlich haben. Ich bin da eher einfach gestrickt, aber was will man machen. Der Wein heißt Novetat Total und wenn man sich ganz doll anstrengt, dann kann man das, wenn man weiß was da steht, auch tatsächlich da lesen. Gemacht wird er von Eloi Cedó Perelló auf Mallorca, der 2012 zusammen mit Francesc Grimalt and Sergi Caballero, die wir von 4kilos kennen, nach einer Wette angefangen hat auf der Insel Wein herzustellen. Das war der Château Paquita, der wohl ziemlich bekannt ist, den es heute aber nicht mehr gibt. Ich muss gestehen, dass ich den Namen bis gerade eben noch nie gehört hatte, aber die Weinwelt ist groß und so super lange sind wir dann auch noch nicht dabei. Inzwischen ist er in den Norden von Mallorca umgezogen und keltert seine Weine im Keller der befreundeten Cati Ribot. Der Novetat Total ist eine Cuvée aus gleichen Teilen Callet und Manto Negro, abgefüllt in die praktisch grüne Einliterflasche. Es gibt wohl insgesamt nicht besonders viel davon, wie viel genau beim aktuellen Jahrgang 2023 weiß ich aber nicht.
Für eine halbe Minute nach dem Entkorken bin ich mir nicht sicher, ob da nicht doch Bier in der Flasche war. So viel Hefearoma ist da noch im Wein und Reste von Gärkohlensäure steigen in feinen Bläschen nach oben. Natural und Nachblubbern macht mir kurz Angst, es lüftet sich dann aber weg. Der Weißabgleich auf dem Titelbild war wohl überfordert, weil den Ockerton, der es da ins Bild geschafft hat, den gibt es so in der echten Welt nicht. Ganz im Gegenteil, das ist leicht trübes, aber sehr frisches Rot. Ein bisschen wie Himbeermarmelade. Rote Beeren riecht man auch und dazu eine für mich fast grenzwertig aggressive Säure, die aber auch beim Schwenken immer fruchtiger wird. Gehört das so? Keine Ahnung. Lecker ist es auf jeden Fall. Wir verlagern den Wein in den Kühlschrank um ihn von Zimmertemperatur auf die hier und da empfohlenen 10 Grad runterzukühlen.
Tatsächlich verschwindet die Hefenote komplett und auch die Blubberbläschen verfliegen schnell. Das riecht jetzt nach Himbeeren, Blaubeeren und Kirsche, etwas Blutorange und ein bisschen Dreck und Speck. Die Säure bleibt so, etwas weniger Laserschwert vielleicht. Der Mittrinkerin macht sowas nichts aus, die trinkt aber auch monatelang vergessenen Kombucha. Ich schaue schonmal nach den Heilerdekapseln. Den Gerbstoff mag ich dafür echt gerne. Der hat genau die richtige Dosis von kratzig und Struktur. Und irgendwie erinnert das auch an die Kräuter aus einem Almdudler. So ganz ohne trinken bin ich großer Fan, die Nase bleibt einfach im Glas hängen. Aber wie er mir dann hinten durch den Gaumen schneidet, das ist mir zu krass.
Erstaunlicherweise bleibt das stabil genau so für den zweiten Abend. So wie unsere ersten Momente zusammen waren, hätte ich mein Geld entweder darauf gesetzt, dass der Wein sich komplett verabschiedet oder super wild wird. So kann man sich irren. Da ist weiter die dreckige Beerenfrucht, da sind die Kräuter, die Struktur und ein bisschen Cola. Und um mir komplett meine Vorurteile zu widerlegen hat sich sogar die Säure beruhigt. Zumindest etwas. Weit genug aber, dass auch ich ohne Angst vor nächtlichem Sodbrennen große Schlucke trinken kann. Der Literflasche sei dank. Wenn ich mir tief in die Augen schaue, dann weiß ich, dass ich den Wein nicht nachkaufen werde. Mal abgesehen davon, ob das überhaupt möglich wäre. Aber ich habe Spaß mit der Flasche. Klar, auch weil ich einfach mag wie das aussieht und wo dieses Etikett in meiner Erinnerung Schubladen aufzieht oder eben CD Hüllen aufklappt. Kontext ist wichtig hier und blind wäre das ein anderer Wein. Schlimm finde ich das nicht, denn ich kann einen Wein auf der inneren To-Drink-Liste abhaken, der Schrank hat eine Flasche mehr und wir hatten Spaß damit. Und das ist doch warum wir das überhaupt machen.