Camille Thiriet - Les Retraits 2020
Zum Abschluss der virtuellen Tour durchs Burgund trinken wir eine Flasche Côte de Nuits Villages Les Retraits 2020 von Camille Thiriet.
Eine Flasche machen wir noch, bevor es uns mit den Weinen hier wieder in andere Gefilde zieht. Und weil das sozusagen Bonus ist, ist auch egal, dass wir geographisch nur wieder ein paar Schritte weit gehen. Tatsächlich ist es vom Weinberg der letzten Woche nur ein bisschen die Straße entlang auf der gegenüber liegenden Seite. Nicht direkt gegenüber, sonst wäre es ja Premier Cru und Clos de la Maréchale, aber praktisch genau nebenan davon. Nicht so wichtig heute. Für mich ist diese Flasche ein Sehnsuchtswein, den ich innerlich eigentlich schon lange abgeschrieben hatte. Den Weinen von Camille Thiriet sind wir nicht etwa in Frankreich sondern an der Mosel über den Weg gelaufen. Bei Mythos Mosel 2022 standen im Weingut Lehnert-Veit bei gefühlten 40 Grad an einem langen Tisch unglaublich viele Spätburgunder säuberlich in einer Reihe. Sonderverkostung Pinot. Und in eben jener illustren Runde haben sich auch die Weine von Camille Thiriet samt Kellermeister Matt Chittick versteckt. Wenn ich es noch richtig im Kopf habe, dann haben sich die Winzer, also Thiriet und Später-Veit, bei einer Station in Neuseeland kennen gelernt und so kam das Burgund als Gast an die Mosel. Es war ein bisschen chaotisch und sehr warm da am Pinot-Tisch. Und trotzdem haben sich die Weine in meinem Schädel festgesetzt. Zumindest bis ich das Preisschild gesehen habe. Danach waren sie zwar immer noch in meinem Kopf, aber abgespeichert unter “Schön, das mal probiert zu haben”. Bis sie vor ein paar Wochen in einem Newsletter zum Abverkauf wieder aufgetaucht sind und ich die Bestellung dann auch vor meiner schwäbischen Seele rechtfertigen konnte.
Matt und Camille haben sich tatsächlich im Burgund kennen gelernt und erst 2016 angefangen winzige Mengen zugekaufter Trauben selbst zu Wein zu machen. Inzwischen konnten auch ein paar eigene Weinberge gekauft werden, der Jahrgang 2020 müsste aber noch komplett aus Zukauf stammen. Was für mehr oder weniger hippe Micro-Weingüter im Burgund ja nichts ungewöhnliches ist. 2020 gibt es gerade einmal 2009 Flaschen des Les Retraits. Die Trauben dafür wurden komplett und spontan vergoren und anschließend im Barrique mit einem Fünftel Neuholz ausgebaut.
Direkt nach dem Aufmachen ist der Wein enorm beerig, sehr dunkel und mit erstaunlich viel Widerstand im Glas. Sowohl in der Säure als auch im Gerbstoff ist da richtig Zug dahinter. Ein paar Stunden später beruhigt sich das. Die Frucht wirkt reduzierter, feiner, aber immer noch dunkel und eher schwarz als rot. Trotzdem riecht man ein paar Kirschen zwischen den dunklen Beeren, Würze und einen kleinen Touch Erde. Ein intensiver, dichter und auch irgendwie einfach schöner Spätburgunder. Die Ruppigkeit der ersten Schlucke hat sich komplett gelegt, die Kraft ist aber immer noch im Glas. Er braucht die Säure um den Gerbstoff, der hinter der Frucht lauert, zu zähmen. Nur um dann mit einer Kante irgendwo zwischen Unterholz und Brombeerblatt von der Zunge zu springen. Es ist glücklicherweise einer dieser Weine, einer, bei dem man stundenlang die Nase ins Glas hängen will. Da hilft die Länge, dann können die Schlucke kleiner sein und der Wein hält länger. Trinken, riechen, trinken. Cassis, Blaubeere, Kirsche und Gewürze. Der Eindruck an der Mosel hat nicht getäuscht. Das ist richtig stark.
Es wird noch ein bisschen besser an Tag Zwei. Nicht so sehr anders, einfach besser. Alles fließt ein bisschen mehr ineinander und wird ein kleines bisschen intensiver. Es wird erdiger, erinnert mehr an Waldboden und beim Riechen bewegen sich Frucht, Würze und Waldboden durch die Nase und dann den Kopf. Man hat wirklich das Gefühl, dass da was im Fluss ist. Man riecht, trinkt, riecht und es ist ein kleines bisschen weiter geflossen. Der Wein ist komplex und tief, ohne schwer oder ausladend zu sein. Diese Mühelosigkeit, die in den letzten Wochen so viele Weine ausgezeichnet hat, die ist auch hier wieder treibende Kraft hinter der Großartigkeit. Johannisbeere, Blaubeere und je älter der Abend wird auch Pflaume und Rauch. Das zusammen mit der Frische und Länge beim Trinken ist einfach eine gute Mischung. Ich bin wieder einmal beruhigt, dass mein Veranstaltungs-Ich und mein Wohnzimmer-Ich die selben Geschmacksknospen nutzen und das auch oben ähnlich ankommt. Ich weiß wieder, warum ich das haben wollte nach der Mosel. Und bin froh, dass ich das jetzt einmal so in vollem Umfang getrunken habe. Der Wein wird in der noch verschlossenen Flasche noch viele Jahre vor sich haben. Sicher auch noch besser werden. Ich trauere dem nicht nach und sortiere ihn zurück in die Schublade im Kopf, in der er eh schon sein Zuhause gefunden hatte. Schön, das mal probiert zu haben. Die Flasche wird mir wieder eine Weile im Kopf umher spuken. Ein Burgunder, so richtig aus dem Burgund, der einen aber imaginär mit jedem Schluck an einen Frühsommertag an die Mosel versetzt, den hat man ja sowieso nicht alle Tage im Glas. Schön, dass er da war.
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