5.1.2025

Zwei Flaschen Kertelreiter

Wir starten das neue Jahr wie in den letzten Jahren mit etwas weniger Alkohol im Glas. Das heißt in diesem Fall zwei Flaschen Obstschaumwein von Kertelreiter: Schefflenzer Edelmost und Galaxy Rise, ein hopfengestopfter Cider.

Auf einem Holztisch stehen zwei Flaschen Fruchtschaumwein von Kertelreiter. Auf einem Etikett ist eine traditionelle Korbpresse zu sehen, auf dem Anderen eine Galaxie. Im Hintergrund sind ein Weinglas und ein Bücherstapel zu sehen.

Der Januar dient vielen als Erholung vom Gelage der Feiertage zum Jahresende. Ob auf Fleisch oder auf Alkohol, Verzicht scheint ein beliebter Start ins neue Jahr zu sein. Und auch unabhängig von möglichen guten Vorsätzen, sieht man immer öfter alkoholfreie Alternativen zu Wein. Bei Bier ist das ein alter Hut, aber bei traubenbasierten Getränken bedeutet Alternative meist mit Blubber und ganz oft bedeutet das leider auch, dass es nicht wirklich lecker ist. Das liegt vor allem daran, dass irgendwas ja so ein Getränk tragen muss und wenn der Alkohol wegfällt, dann wird er häufig durch Zucker ersetzt und pappsüße Obstbrause mit dreistellig Restzucker finde ich schlicht nicht gut. Trotzdem probieren wir, was uns so über den weg läuft und ich nutze auch diesen Januar wieder dazu, vorzustellen, was wir dabei so entdeckt haben. Es gibt sie nämlich, die nicht furchtbaren Alternativen. Mal ganz ohne Umdrehungen, mal mit weniger. Denn für einen ganz trockenen Januar taugen Obstschaumweine zwar nicht, aber mit knapp über 6 Prozent sind die beiden Flaschen heute zumindest deutlich leichter als der typische Schaumwein, und Fruchtwein im Allgemeinen ist ein extrem spannendes Thema. Aus kürzlichem Selbstversuch kann ich auch berichten, dass so eine Flasche Cidre sich ganz herrvorragend zum Anstoßen aufs neue Jahr eignet.

Im Zuge dieser Vorstellung überlege ich fieberhaft, wo mir Barry Masterson, beziehungsweise Kertelreiter, das erste Mal begegnet ist. Ich glaube es war in einer kurzen Dokumentation auf Youtube. Wir bewirtschaften selber ein paar Streuobstbäume und da ist es unvermeidlich, zumindest bei mir, ins Rabbit Hole zu fallen. Erst zum Thema Baumschnitt und dann, wenn die Ernte es hergibt, auch zum Thema, was man mit dem Obst so anstellen kann. Und irgendwo da hat mir der Algorithmus dann Kertelreiter untergeschoben. Ich hatte das dann, wie das so ist, wieder vergessen gehabt, als eine Flasche Birnenwein im Instafeed von Christoph Raffelt auftauchte. Ein “das kenne ich doch” und ein “da wollte ich doch schonmal einkaufen” später, waren dann sechs Flaschen auf dem Weg hierher. Christoph hat sich übrigens auch im Rahmen seines Originalverkorkt Podcasts wunderbar mit Barry unterhalten. Es lohnt sich, da mal reinzuhören.

Barry Masterson ist gebürtiger Ire (Ein r, aber wer Flaschenauflagen von deutlich unter 100 füllt, der braucht vielleicht auch ein zweites r), den es der Liebe wegen ins Kaff Schefflenz nach Baden-Württemberg verschlagen hat. Baden um genau zu sein, zumindest, wenn man dem Landesarchiv Baden-Württemberg trauen kann. Er ist Quereinsteiger und Nebenerwerbsobstbauer, der einst mit der Apfelsaftproduktion für den Eigenverbrauch startete, dann Cider kelterte und schließlich eine Liebe für Mostbirnen und dem Perry daraus entwickelt hat. Streuobstwiesen gehören hier im Bundesland zum Landschaftsbild, alte, große Birnbäume sind wirklich landschaftsprägend und leider verfallen viele dieser Wiesen und Bäume. Um dem Einhalt zu gebieten pflanzt Barry mit der Unterstützung von Birnenpatenschaften inzwischen neue Bestände. Aus der Ernte der schon vorhandenen Bestände keltert er, je nach Jahr, Ernte und Lust eine gigantische Vielfalt verschiedener Obstweine. Reinsortige Mini-Chargen von teilweise unbestimmten Birnbäumen sind dabei, Experimente mit verschiedenen Hefen, Experimente mit Kräutern, mit Tee, mit Hopfen, aus alten Apfelsorten, alten Birnensorten oder auch mal mit Quitte. So sehr ich Wein liebe, die Verbindung zu Streuobst ist dann doch nochmal eine andere bei mir. Die Wiesen zu erhalten, alte Sorten zu erhalten und auch wieder anzupflanzen, ich verstehe das, ich fühle das total. Und auch das “was daraus herstellen” lässt sich besser nachvollziehen, wenn man selber an der Korbpresse gestanden hat. Leider waren die letzten beiden Jahre Arsch, so dass wir noch von den letzten Resten Druckfassmost aus 2022 zehren. Vielleicht ja dieses Jahr wieder. Die Nähe zum Getränk ist trotzdem eine Andere. Und tatsächlich wächst seit letztem Jahr auf unserer Wiese auch wieder eine Mostbirne. Palmischbirne, Slowfood Arche Passagier, weil sie selten geworden ist. Hoffentlich wächst sie gut an.

Dankenswerterweise kann man einen Mixkarton bestellen bei Barry. Das macht das Wählen einfacher. Zwei Flaschen daraus probieren wir jetzt. Der Schefflenzer Edelmost ist eine Cuvée aus 70% Apfel und 30% Birne in der Tradition des klassischen, lokalen Mosts und neun Monaten Hefelager. Es gibt 186 Flaschen davon. Der Galaxy Rise ist eine Cuvée aus drei Vierteln Goldparmäne, Cox Orange und Jonagold und einem Viertel Mostbirne. Er wird spontan vergoren, ruht 19 Monate auf der Hefe und wird anschließend mit Galaxy Hopfen trockengestopft. Gerade einmal 62 Flaschen gibt es, unsere ist Nummer 22. Wie verrückt es ist, solche Auflagen zu produzieren, das muss nicht nochmal gesagt werden.

Der Edelmost riecht natürlich nach Most, apfelig, ein bisschen rustikal und irgendwie auch mit Süße dazwischen und einer cremig, gelben Note, die vielleicht vom Birnenanteil stammt. Cremig ist beim Trinken dann nicht mehr viel. Das hat enorm viel Zug und Kraft. Da ist Struktur, das ist furztrocken, komplett klar und saftig dabei. Die Spannung zwischen dem, was man riecht und dem kompromisslosen Zug beim Trinken macht richtig viel Spaß. Diese strahlende Klarheit und die Kraft und Energie beim Trinken zieht sich im Übrigen durch alle Birnen- und Apfelschaumweine, die wir von Kertelreiter dann noch aus dem Karton geholt haben. Ich habe bisher kaum Cidre aus England oder Irland im Glas gehabt, aber gerade im Vergleich zu dem, was wir sonst so aus der Normandie und Co trinken, ist das schon ein Unterschied. Da ist hier schon mehr Wumms dahinter.

Hopfen in Apfelblubber mag ich grundsätzlich gerne. Es ist also wenig überraschend, dass ich auch diesen hier ganz großartig finde. Der Galaxy ist ziemlich grün und ziemlich hopfig in der Nase. Allerdings ist das Grün auf eine ganz andere Art und Weise grün als es etwa in Sauvignon Blanc stattfindet. Es erinnert nämlich null an Paprika. Und es ist auch ein bisschen anders als in hopfengestopftem IPA. Da wo das IPA dann direkt in Richtung Litschi und Exotik marschiert, bleiben wir hier eher hopfig würzig. Klar, da ist auch Maracuja und auch Zitrusfrucht, aber irgendwie balancierter als ich das von vielen IPAs gewohnt bin. Es ist jedoch auch eine ziemliche Weile her, dass ich mein letztes IPA im Glas hatte. Dahinter kommt dann in der Nase etwas mostiges Kernobst, das man aber viel mehr schmeckt als das man es riechen würde. Ich mag das wirklich sehr und bin richtig froh, dass es über Christoph wieder in meine Timeline gespült wurde und damit zurück ins Gedächtnis gesprungen ist. Ich glaube gerade hier in der Region schlummert noch extrem viel Potential für spannende Projekte aus den Streuobstwiesen.

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